Fragen Sie Dr. Nürsel
Frage:
Lieber Dr. Nürsel! Hasse schonn gehört, dass es einen Unterschied zwischen dem Genitiv und den Dativ geben soll? Dein Norbert aus Dorlar.
Dr. Nürsel: Keine Ahnung, Norbert, so behauptet es wenigstens der Duden. Aber da im Duden nicht mal „woll“ steht, traue ich dem seine Redaktion irgendwie nicht mehr über den Weg. Ich bin sowieso der Ansicht, dass Umgangssprache kreativ und vielfältig sein darf und wir Sauerländer so quasseln dürfen, wie wir wollen. Das gildet auch für Genitiv und Dativ. Spätestens als Bastian Sick 2004 in seinem Bestseller verkündete, dass der Dativ dem Genitiv sein Tod ist, lag die Vermutung nah, dass unsere regionalen Chrammatik starken Anteil diesem Trauerfall haben könnte. Indizien dafür gippt’s jedenfalls reichlich, das fängt schon bei den Fürwörtern an.
Das Sauerland ist eine arme Region, wir Eingeborenen besitzen oft nur das, was wir am Leibe tragen und vielleicht noch einen Kasten Pils im Keller. Und mit dem Wenigen, was uns gehört, können wir dann schließlich machen, was wir wollen, selbst wenn es nur ein kleines Pronomen ist. Nehmen wir zum Beispiel die Possessivpronomen, also die besitzanzeigenden Fürwörter wie MEIN, DEIN, EUER, IHR und so weiter und so fort. Wenn einem Sauerländer da ein össeliges N auf den Sender geht, wird es einfach gestrichen („Lass die Flossen von MEINE Pommes!“). Hat er keine Lust auf ein E, spricht er es auch nicht aus („Das sach ich MEIM großen Bruder, dann krisse Kloppe!“) Sprechen wir über eine dritte Person, haben es uns die Possessivpronomen erst recht angetan und nur geübte Sprachforscher können mit den Rasterelektronenmikroskop noch dudenkonforme Dativ- oder Genitivreste erspähen. Im Sauerland heißt es beispielsweise nicht einfach SEIN oder SEINE, beziehungsweise IHR oder IHRE, wie in SEIN blaues Auge oder IHR rechter Haken, sondern DEM SEIN und DER IHRE. Hört sich doch auch viel schöner an: „Das ist doch DEM SEINE Sache!“ oder „Das warn bestimmt DER IHRE Blagen!“ Im Plural wird aus dem langweiligen DEREN bei uns das viel lustigere DENEN IHRE: „DENEN IHRE Töhle kackt uns immer auffen Rasen.“
DEREN und das noch viel nervigere DESSEN wurden übrigens schon 1965 offiziell von Bundespräsident Heinrich Lübke aus Enkhausen überall im Sauerland zum Abschuss freigegeben. Kommentar der damaligen Bildungsministerin Käthe Strobel: „Is mir doch egal! Das is doch DENEN IHRE Sache, wennse DEM SEIN schlechten Deutsch schön finden tuhn!“ Dabei hat sie dann vor lauter Wut glatt den Regionaldativ des rückbezügliches Fürworts „mir“ vergessen. Korrekt hätte es lauten müssen „Is mich doch egal!“
Fazit, Norbert: Im Sauerländer Gehirnen sind Dativ und Genitiv untrennbar miteinander vertörkt. Vielleicht nicht in deins, aber auf jeden Fall in meim, woll.